Fragen und Antworten
Im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall von Mitarbeitenden tauchen immer wieder Fragen auf. Das Netzwerk Solothurn hat diese Fragen aus dem Alltag von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden gemeinsam beantwortet.
Muss der Arbeitnehmer auf Verlangen des Arbeitgebers ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis vorlegen?
Die Beweislast der Arbeitsunfähigkeit liegt beim Arbeitnehmenden, soweit er daraus Rechte, wie z.B. die Lohnfortzahlungspflicht, geltend machen will (Zivilgesetzbuch (ZGB), Artikel 8 – Beweislast). Daraus folgt das Recht des Arbeitgebers, ab dem ersten Tag der Verhinderung ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis zu verlangen, falls der Arbeitsvertrag dies nicht ausdrücklich anders regelt. Wir empfehlen jedoch, bei kürzeren Absenzen im Normalfall kein Arbeitsunfähigkeitszeugnis zu verlangen. Wenn sich bei einem Arbeitnehmenden die Kurzabsenzen auffällig häufen, sollte der direkte Vorgesetzte das Gespräch mit dem Betroffenen suchen.
Auf welche Fragen zum Arbeitsunfähigkeitszeugnis muss der behandelnde Arzt Auskunft geben?
Grundsätzlich ist der Arzt gegenüber dem Arbeitgeber, gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Zu den folgenden Fragen muss er im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines Arbeitsunfähigkeitszeugnisses Auskunft geben:
- Dauer der Arbeitsunfähigkeit inkl. Anfangs- und Enddatum oder wenn noch kein Ende bestimmt werden kann, wann die nächste Beurteilung geplant ist
- Grad der Arbeitsunfähigkeit: Besteht die Einschränkung des Arbeitnehmenden auf der Präsenz oder der Leistung
- Handelt es sich um eine Krankheit oder einen Unfall
- Bei Teilarbeitsfähigkeit, welche konkreten Tätigkeiten möglich resp. nicht möglich sind (anhand Stellenbeschrieb)
Bei längeren Abwesenheiten ist es für den Arzt nicht einfach, eine Prognose über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit abzugeben. Hier kann ein Gespräch aller Involvierten (Arbeitnehmer, Arzt, Arbeitgeber, evtl. Sozialversicherungen) für eine Standortbestimmung Sinn machen.
Wann ist es für den Arbeitgeber sinnvoll ein detailliertes Arbeitsunfähigkeitszeugnis einzufordern und was ist dafür zu tun?
Das Einfordern eines detaillierten Arbeitsunfähigkeitszeugnisses macht bei längerer Arbeitsunfähigkeit Sinn. Es hilft abzuklären, ob eine Teilarbeitsfähigkeit möglich ist. Der Arbeitgeber kann beim behandelnden Arzt ein detailliertes Zeugnis anfordern. Damit dieses ausgestellt werden kann, benötigt der Arzt das ausdrückliche Einverständnis des Arbeitnehmenden und eine entsprechende Arbeitsplatzbeschreibung oder ein ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil (REP) vom Arbeitgeber. Die Vorlagen finden Sie auf der Website von Swiss Insurance Medicine.
Es empfiehlt sich, den Arbeitsplatzbeschrieb oder das REP gemeinsam mit dem Arbeitnehmenden auszufüllen und zu besprechen. Der Arbeitgeber trägt die Kosten (derzeit CHF 100.– / Empfehlung SIM).
Was ist der Sinn der Teilarbeitsfähigkeit und wie wird diese interpretiert?
Sobald der Mitarbeitende in der Lage ist, eine Teilleistung zu erbringen, ist die Frage der Teilarbeitsfähigkeit zu klären. Dabei bezieht sich die Einschätzung immer auf die Tätigkeit, welche er bis vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ausgeübt hat. Mit der Beurteilung wird geklärt, welche Leistung der Arbeitnehmende in welcher Zeitspanne erbringen kann. Zwei Beispiele dazu:
- 50 % Arbeitsfähigkeit = 50 % Leistung bei voller Präsenzzeit (Normalfall, sofern nichts anders auf dem Arbeitsunfähigkeitszeugnis vermerkt)
- 50 % Arbeitsfähigkeit = Halbe Präsenzzeit bei 100 % Leistung – z.B. am Morgen – (muss jedoch explizit vom Arzt vermerkt sein)
Bei der Beurteilung ist auch eine Kombination zwischen Präsenz und Leistung möglich. Das Vorliegen eines Stellenbeschriebs erleichtert die Festsetzung der Teilarbeitsfähigkeit. Dieser kann vom Arzt bei Arbeitgeber verlangt werden oder der Arbeitgeber stellt von sich aus dem Arzt einen solchen zu.
Für Teilzeitpensum gilt das Gleiche wie bei einem Vollzeitpensum. Hier ein Beispiel für ein 50 % Pensum:
- Halbe Präsenzzeit bei 100 % Leistung = wenn der Arbeitnehmende nur die Hälfte der üblichen Arbeitszeit (also statt die halbe Woche nur einen Viertel der Woche) präsent ist, jedoch während dieser Zeit die normale Leistung erbringt.
Die Vorteile einer schrittweisen Arbeitsaufnahme liegen auf der Hand. Der Arbeitnehmende kann auf diese Art schonender an den Arbeitsplatz zurückkehren, was dem Heilungsverlauf oft dient. Der Arbeitgeber profitiert vom früheren Arbeitseinsatz und indirekt auch von den tieferen Taggeldern. Denn: je mehr Taggelder fliessen, desto höher sind in der Regel die Versicherungsprämien.
Was kann der Arbeitgeber unternehmen, wenn er mit dem Arbeitsunfähigkeitszeugnis nicht einverstanden ist?
Idealerweise sucht der Arbeitgeber zuerst das Gespräch mit dem Arbeitnehmenden, um Unklarheiten anzusprechen. Falls man hier keine Lösung findet, ist die telefonische Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Arzt sinnvoll, wenn die Fragen nur formal das Zeugnis betreffen. Braucht der Arbeitgeber mehr Auskunft, so muss er den Arbeitnehmenden um eine Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht bitten.
Als nächste Option, vor dem Rechtsweg, ist der Beizug eines Vertrauensarztes möglich. Dies erfolgt klassischerweise über die Krankentaggeld- oder Unfallversicherer.
Im Weiteren nimmt die Ombudsstelle der GAeSO Reklamationen der Arbeitgeber bezüglich Arbeitsunfähigkeitszeugnissen entgegen. Diese sind bezüglich der Arbeitnehmerdaten anonymisiert einzureichen.
Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung zwingen?
Die Rechtsprechung schützt in der Regel den Anspruch des Arbeitgebers eine vertrauensärztliche Zweitmeinung einzuholen. Der Arbeitnehmende kann jedoch dazu nicht gezwungen werden. Damit Streitigkeiten vermieden werden können, wird empfohlen, dies im Arbeitsvertrag oder -reglement konkret zu regeln, da die vertraglichen Bestimmungen zwischen Arbeitgeber und seiner Versicherung nicht automatisch auch für den Arbeitnehmer rechtswirksam sind.
Auch hat der Arbeitgeber gemäss geltender Praxis das Recht, den Vertrauensarzt für seinen Arbeitnehmenden zu bestimmen. Es wird jedoch empfohlen, dem Arbeitnehmenden eine Auswahl (2 Ärzte oder mehr) zu geben.
Eine Weigerung des Arbeitnehmenden sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, hat zur Folge, dass er seine Arbeitsunfähigkeit unter Umständen nicht mehr belegen kann (Hinweis Art. 8 ZGB). Dies kann arbeitsrechtliche Konsequenzen, bis hin zu einer Kündigung, haben.
Wie kommt der Arbeitgeber zu einem Vertrauensarzt?
Krankentaggeld- und Unfallversicherer verfügen in der Regel über Vertrauensärzte. Daher empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Versicherer. Als weitere Möglichkeiten, kann ein Arzt über www.medregom.admin.ch gesucht werden. Bei der Website handelt es sich um das Medizinalberufsregister des Bundes. Oder auf der Website von Swiss Insurance Medicine (SIM) findet man zertifizierte Arbeitsfähigkeitsassessoren (ZAFAS-Ärzte) der SIM.
Darf der Arbeitnehmende trotz vorliegender Arbeitsunfähigkeit arbeiten?
Im gegenseitigen Einverständnis ist eine Arbeitsaufnahme trotz vorliegendem Arbeitsunfähigkeitszeugnis möglich. Voraussetzung dafür ist, dass eine allenfalls den Beschwerden angepasste Arbeit den Heilverlauf nicht negativ beeinflusst. Am einfachsten holt sich der Arbeitgeber das Einverständnis des behandelnden Arztes. Oder man bespricht das Vorgehen vorgängig mit dem zuständigen Kranken- oder Unfallversicherer und holt allenfalls eine schriftliche Bestätigung dafür ein.
Darf der Arbeitnehmende, trotz einer vorliegenden Arbeitsunfähigkeit (Ferienfähigkeit) in die Ferien? Gehen die Ferien zu Lasten des Arbeitgebers?
Sofern Ferien keinen negativen Einfluss auf den Heilverlauf haben, dürfen diese angetreten werden. Es empfiehlt sich dabei, den zuständigen Versicherer zu informieren.
Ferien dienen dem Zweck der Erholung. Wenn sich jemand in seinen Ferien erholen kann, ist er ferienfähig und hat in der Regel keinen Anspruch auf Nachbezug von zusätzlichen Ferientagen. Kleinere Unpässlichkeiten (z.B. leichtes Unwohlsein, übliche Kopfschmerzen etc.) genügen nicht, um den Erholungszweck merklich zu beeinträchtigen.
Wird der Arbeitnehmende während den Ferien krank oder erleidet einen Unfall, empfiehlt sich die rasche Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber. Dies vermeidet Unstimmigkeiten nach den Ferien.
Benötigt die Arbeitnehmerin ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis, wenn sie eine Arbeitsunfähigkeit während der Schwangerschaft geltend macht?
Auch ohne Arbeitsunfähigkeitszeugnis kann die schwangere Arbeitnehmerin die Arbeit teilweise oder ganz einstellen (Arbeitsgesetz (ArG) Art. 35a, Absatz 2). Die Lohnfortzahlungspflicht für den Arbeitgeber besteht, sofern die Arbeitsniederlegung aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. Der Arbeitgeber kann ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis verlangen. Die Dauer der Lohnfortzahlung richtet sich wie bei Krankheit nach Anzahl Dienstjahren. Weitergehende Regelungen sind möglich.
Was kann der Arbeitgeber machen, wenn ein Arbeitnehmender einen Tag nach der Kündigung mit einem rückwirkenden Arbeitsunfähigkeitszeugnis kommt?
In einem solchen Fall ist es sinnvoll, nach Einholen der Entbindung von der Schweigepflicht, den Kontakt mit dem Arzt zu suchen und die Frage zu klären, warum eine rückwirkende Arbeitsunfähigkeit attestiert wird, obwohl der Arbeitnehmende am fraglichen Tag gearbeitet und die Kündigung erhalten hat. Es ist in der Praxis umstritten, ob eine Kündigung rechtswirksam ist, wenn jemand trotz eines Arbeitsunfähigkeitszeugnisses am Kündigungstag gearbeitet hat. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die genauen Beweggründe des Arztes abzuklären, wieso eine rückwirkende Arbeitsunfähigkeit festgelegt wurde.
Aus Sicht des Arztes empfiehlt es sich die genauen Gründe zu erfragen, weshalb eine rückwirkende Arbeitsunfähigkeit attestiert werden soll. Insbesondere soll auch die Frage geklärt sein, wann der Patient zum letzten Mal gearbeitet hat. Gerade wenn es um eine Kündigung geht, sind diese Fragen zentral. Idealerweise wird die Ausstellung der rückwirkenden Arbeitsunfähigkeit begründet. Auch wenn der Arbeitnehmende den Arzt nicht von der Schweigepflicht entbindet, macht es Sinn, dass der Arbeitgeber den Arzt über die Kündigungssituation informiert. Ein möglichst vollständiges Bild der aktuellen Arbeitsplatzsituation unterstützt den Arzt bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit.
Ist ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis notwendig, wenn ein Elternteil zu Hause bleibt, um sein krankes Kind zu pflegen?
Ja. Der Arbeitnehmende hat, falls verlangt, ein ärztliches Zeugnis des behandelnden Arztes des Kindes vorzulegen. Je nach Alter und Gesundheitszustand des Kindes kann die Abwesenheit des Arbeitnehmenden bis zu 3 Tage (pro Fall) dauern, in besonders schwerwiegenden Fällen sogar länger. Diese Tage dienen auch dazu, um eine Betreuung für die nachfolgenden Tage zu organisieren. Für die Lohnfortzahlungspflicht gelten die gleichen Regelungen wie bei Krankheit. Firmenreglemente und Gesamtarbeitsverträge können andere Lösungen vorsehen.
Hilft das Absenzenmanagement bei der Senkung der Absenzendauer?
Ein aktives gelebtes Absenzenmanagement der Führungskräfte hilft mit, die Zusammenarbeit mit den Ärzten zu optimieren und die Absenzendauer zu senken. In längerdauernden Fällen ist es sinnvoll dem Arbeitnehmenden eine den Beschwerden angepasste Tätigkeit anzubieten und das Gespräch zwischen allen Parteien zu suchen.